"Engagiert vor Ort - Einstiegswege und Erfahrungen von Kommunalpolitikerinnen"
Die Studie wurde von der EAF I Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erstellt und steht im Kontext der Kampagne FRAUEN MACHT KOMMUNE des Bundesministeriums, welche in den kommenden Monaten für mehr Frauen in der Kommunalpolitik werben wird.
Folgende Fragen standen im Zentrum der Untersuchung: Wer sind die ehrenamtlichen Kommunalpolitikerinnen und wie gestaltet sich ihr kommunalpolitisches Engagement? Was ist ihre Motivation, Kommunalpolitik zu betreiben? Wie waren ihre Einstiegswege? Was sind förderliche Faktoren, damit kommunalpolitisches Engagement „gelingen“ kann? Was sind Hürden und Herausforderungen? Und wie kann man – an diesen Erkenntnissen ansetzend – die kommunalpolitische Partizipation von Frauen erhöhen?
Für die Studie wurden1.036 ehrenamtliche Stadt- und Gemeinderätinnen befragt. Die große Zahl von Teilnehmenden, welche repräsentativ für die Stadt- und Gemeinderätinnen aus über 500 Kommunen sind, gewährleistet verlässliche Orientierungsgrößen. Ergänzend wurden Intensivinterviews mit 25 ehren- und hauptamtlichen Kommunalpolitikerinnen durchgeführt. Bei der Auswahl der Befragten wurden die regionale Verteilung, die Größe der Gemeinden sowie die Parteizugehörigkeit der Kommunalpolitikerinnen nach Quoten berücksichtigt.
Kommunalpolitikerinnen sind gut ausgebildet und überwiegend in der zweiten Lebenshälfte
Kommunalpolitik wird heute von Frauen gemacht, die sich überwiegend in der zweiten Lebenshälfte befinden. Die Altergruppe der 40 bis 60jährigen ist mit 64 Prozent vertreten, die über 60jährigen mit weiteren 25 Prozent. Die Frauen sind überdurchschnittlich hoch gebildet, so verfügt fast jede zweite Kommunalpolitikerin über einen Hochschulabschluss.
Zwei Drittel sind erwerbstätig, davon die Hälfte in Teilzeit. Die Frauen engagieren sich in der Kommunalpolitik in der Regel zu einem Zeitpunkt, in dem die Kinder bereits über 16 Jahre alt sind (61 Prozent). Nur ein sehr geringer Prozentsatz hat Kinder im Alter bis zu fünf Jahren zu versorgen (7 Prozent).
Angesichts des zeitlichen Umfangs kommunalpolitischen Engagements - über die Hälfte ist mehr als 10 und bis zu 20 Stunden pro Woche dafür tätig - ist die Vereinbarung von (Vollzeit) Erwerbstätigkeit, Erziehung von Kindern und politischem Ehrenamt vorwiegend im zeitlichen Nacheinander möglich; das heißt die Kinder sind in der Regel „aus dem Gröbsten“ heraus und/oder die Frauen arbeiten statt in Vollzeit in Teilzeit. Kommunalpolitik schöpft heute also vorwiegend aus einem Reservoir gut ausgebildeter Frauen, die über ausreichende zeitliche (und materielle Ressourcen) für das Engagement verfügen. Dafür spricht u. a., dass die Partner der Kommunalpolitikerinnen (82 Prozent leben in einer festen Partnerschaft) mehrheitlich einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehen.
Spaß am Engagement und die Erfüllung vielfältiger eigener Bedürfnisse hat Priorität
Das Bedürfnis, „sich über den eigenen Tellerrand hinaus“ zu engagieren, ist für 81 Prozent der Befragten die Hauptmotivation, Kommunalpolitik zu betreiben. Das politische Ehrenamt bedeutet aber auch persönliche Entfaltung: Für 56 Prozent ist die eigene Weiterentwicklung wesentlicher Antrieb für die Ausübung eines kommunalpolitischen Amtes. 76 Prozent der Ehrenamtlichen möchten bei der nächsten Wahl wieder kandidieren. Demgegenüber wollen jedoch nur vier Prozent die Kommunalpolitik als mögliches Sprungbrett für eine politische Karriere nutzen.
Zivilgesellschaftliches Engagement ebnet den Einstieg in ein kommunalpolitisches Ehrenamt
86 Prozent der ehrenamtlich tätigen Befragten waren vor der Übernahme des kommunalpolitischen Amtes ehrenamtlich in bürgerschaftlichen Zusammenhängen, Parteien oder kommunalpolitischen
Gremien engagiert. Bei vielen Befragten bildet die Mitarbeit im Kindergarten
oder Elternbeirat bzw. das unmittelbare Erleben von Missständen in diesem Bereich den Ausgangspunkt ihres kommunalpolitischen Engagements. Insgesamt erfolgt der Einstieg eher ungeplant und spontan. Immerhin 30 Prozent sind die Kommunalpolitik „einfach so hineingerutscht“. Nur bei 38 Prozent der Befragten kam der Anstoß aus sich heraus. Dagegen
bekamen 62 Prozent den Anstoß von außen. Die Daten zeigen, dass die gezielte Ansprache hier viel bewegen kann.
Herausforderungen sind die Aneignung des fachlichen Know-hows und der Umgang mit der Öffentlichkeit
Die befragten Frauen fühlen sich zwar mehrheitlich gut gewappnet für den Einstieg in die Kommunalpolitik. Vielfach wird betont, dass sowohl Kompetenzen aus dem Bereich der Erwerbstätigkeit, als auch aus der Familienarbeit nützlich für die kommunalpolitische Arbeit sind. Als Hürde wurde jedoch die zeitintensive Aneignung des fachlichen Know-hows (z.B. über Verwaltungsprozesse und Haushaltsstrukturen) angesehen. Knapp 45 Prozent wünschen sich generell eine stärkere Professionalität in der Kommunalpolitik. Zwei Drittel der
Befragten meinen, dass viele Frauen Angst vor den öffentlichen Auftritten haben und deshalb den Weg in die Kommunalpolitik scheuen. Auch der eigene Umgang mit der Öffentlichkeit wurde von vielen Befragten als Hemmschwelle und Herausforderung beschrieben.
Die strukturellen Rahmenbedingungen und die politische Kultur werden als verbesserungswürdig empfunden
40 Prozent klagen über bürokratische Strukturen und rund ein Fünftel über den hohen Zeitbedarf. Vor allem von Frauen, die das kommunalpolitische Ehrenamt mit Beruf und Familie verbinden, wird ein hohes Maß an Zeitmanagement, Organisationstalent, Belastbarkeit und Stressresistenz verlangt. Bezüglich der politischen Kultur fällt das Urteil noch deutlicher aus: immerhin über die Hälfte sieht hier Mängel und mahnt Veränderungen an. U. a. werden Fraktionszwang,
„Endlosdiskussionen“, ein „schlechtes Arbeitsklima“ und „unkooperative Arbeitsweisen“ genannt. Knapp ein Viertel wünscht sich explizit mehr Unterstützung durch die Partei. Ein Drittel vermutet, dass das politische Umfeld Frauen nicht genügend unterstützt. Fast die Hälfte geht davon aus, dass ein Hinderungsgrund für Frauen in die Kommunalpolitik zu gehen ist, dass sie dort „männlich dominierte“ Strukturen vermuten.
Die Unterstützung der Partner ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor
Die Familiensituation muss mit dem kommunalpolitischen Engagement kompatibel sein. Hierbei spielen die Partner der Kommunalpolitikerinnen eine entscheidende Rolle. Das Mindestmaß der Unterstützung besteht darin, dass die Kommunalpolitikerinnen seitens ihrer Partner nicht vom Engagement abgehalten werden – der Partner sie also „gewähren“ lässt. Aktiv unterstützende Partner beteiligen sich darüber hinaus in einem vergleichsweise hohen Maße an Familien- und Hausarbeit und halten ihrer Partnerin den Rücken frei. Während sich über 80 Prozent der Frauen durch ihren Partner in sehr hohem Maße unterstützt fühlen, gehen sie jedoch davon aus, dass dies nicht überall der Fall ist. Fast jede dritte Befragte meint, dass Frauen nicht in die Kommunalpolitik gehen, weil sie durch ihr persönliches Umfeld und den Partner nicht die entsprechende Unterstützung erfahren.
Was lässt sich tun? Handlungsempfehlungen
1. Frauen sollten nicht nur gezielt angesprochen und ermutigt werden, sondern es sollte auch seitens der Parteien vor Ort und der Einrichtungen der politischen Bildung ein zeitgemäßes und bedarfsgerechtes Unterstützungsangebot bereitgestellt werden, das insbesondere den knappen zeitlichen Ressourcen der Frauen Rechnung trägt. Kommunalpolitikerinnen wünschen sich vor allem mehr Unterstützung für den Umgang mit der Öffentlichkeit und den
öffentlichen Auftritt.
2. Verfahren und kommunalpolitische Abläufe sollten entschlackt und unbürokratischer werden; auch sind die Parteien gefordert, an ihrer politischen Kultur zu arbeiten. (u. a. effiziente Leitung und Moderation von Sitzungen, Einsatz der modernen Kommunikationstechnologien etc). Insgesamt scheint nach wie vor ein Modernisierungs- und Professionalisierungsschub in der Kommunalpolitik angebracht zu sein
3. Kommunalpolitik benötigt mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung; die Vielfalt der Themen und die lohnenswerte und positive Seite von kommunalpolitischem Engagement (Kontakte, Kompetenzerwerb, sichtbare Erfolge vor Ort) sollte in allen Bereichen (Schule, Medien, politische Bildungsarbeit) aufgegriffen und kommuniziert werden. Über Preise, Wettbewerbe u. ä. m. ließe sich eine öffentlichkeitswirksame „Anerkennungskultur“ für das kommunalpolitische
Ehrenamt aufbauen.
4. Da eines der Hauptprobleme in den knappen zeitlichen Ressourcen der Frauen liegt, ist mit Blick auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einerseits eine gute Infrastruktur für Kinderbetreuung und familiennahe Dienstleistungen notwendig sowie andererseits die Entwicklung
von Maßnahmen, die zu einem gleichberechtigten Rollenverständnis und einer
stärker partnerschaftlichen Aufgabenverteilung zwischen Frauen und Männern beitragen.
Die ausführliche Beschreibung der vorläufigen Ergebnisse steht hier zum Download bereit.
Die vollständigen Ergebnisse der Studie über ehren- und hauptamtliche Kommunalpolitikerinnen werden im Mai 2009 veröffentlicht.
Kontakt: Dr. Helga Lukoschat, Uta Kletzing, EAF I Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft. Email: kletzing(at)eaf-berlin.de , Telefon: 030/ 28 87 98 40